MENSCHEN VERMISSEN KUNST
Interview in der BORKENER ZEITUNG vom 07. April 2020,
Frank Terwey über KULTUR in der Corona-Zeit
BORKEN.
Wegen der Corona-Pandemie werden reihenweise Kultur-Veranstaltungen
abgesagt. Leidtragende sind in erster Linie die Künstler, aber auch das
Publikum,
das ohne Live-Veranstaltungen auskommen muss. Ist die Kultur damit in
der Krise? Darüber sprach BZ-Redakteur Markus Schönherr mit Frank
Terwey. Der Gemener macht seit vielen Jahren selbst Kunst-Projekte und
vergibt jährlich ein Stipendium an einen Performance-Künstler.
Zuletzt rief Terwey online zu einer Sofa-Performance auf, bei der die
Teilnehmer Löcher in die Luft starren sollten.
BZ: Was hatte es mit der Sofa-Performance auf sich, zu der du am 1. April aufgerufen hast?
Frank
Terwey: Der Kulturbetrieb steht quasi still. Künstler können nicht
ausstellen. Leute, die an Kultur interessiert sind, können keine
Konzerte, kein Kino,
kein Theater und keine Ausstellungen besuchen. Viele sind überfordert
damit, jetzt alleine zu Hause zu sein. Ich hab mir gedacht, da kann man
auch auf dem Sofa sitzen und Löcher in die Luft starren. Da weiß man
wenigstens für fünf Minuten, wozu man zu Hause
sitzt. Das hat auch einen humoristischen Charakter, deshalb hab ich es
absichtlich am 1. April gemacht.
BZ: Bekommt Kunst in Zeiten der Corona-Pandemie eine neue Bedeutung?
Terwey:
Das ist schwer zu sagen. Ich finde gut, dass jetzt darüber gesprochen
wird. Kunst wird vermisst. Kultur bedeutet Identität. Und mit der
Identität bestimmen
wir unsere Werte. Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Worauf beziehen
wir uns? Das hat alles mit Kultur zu tun. Im Moment wird man reduziert
auf das, was man braucht, und wenn man dann noch über Kunst und Kultur
spricht, ist das positiv.
BZ: Aber ist Kunst und Kultur nicht auch das erste, auf das in Krisenzeiten verzichtet wird?
Terwey: Das ist meistens so, wenn es um die Kosten geht. Aber trotzdem vermissen es die Leute.
BZ: Also ist die Kultur durch Corona nicht zwangsläufig in einer Krise?
Terwey:
Kunst und Kultur befinden sich grundsätzlich in einer Krise. Corona
bietet eher die Chance, dass die Menschen merken: Da ist etwas, von dem
ich gar
nicht gedacht hätte, dass ich es vermisse. Das Gesundheitswesen und die
Kultur sind oft die Bereiche, in denen als erstes Geld gestrichen wird.
Jetzt bekommt man einen anderen Blick darauf und sagt vielleicht: Darum
muss ich mich weiter kümmern, auch wenn
Corona mal kein Thema mehr ist. Das ist zumindest mein Wunsch.
BZ: Kann es Menschen durch die Krise helfen, selbst Kunst zu machen?
Terwey: Das höre ich im Moment häufig. Jetzt muss man zu Hause bleiben und hat Zeit, Dinge zu Ende zu machen.
BZ: Hat sich in deiner Kunst etwas durch Corona verändert?
Terwey:
Ich habe neben der Kunst meinen Butter- und Brot-Beruf, so dass sich
für mich nicht viel verändert hat. Aber im Ausstellungsbetrieb
verschiebt sich
einiges. Das merke ich schon. Perspektivisch muss man runterfahren. Im
Moment wird alles auf Septemper und Oktober verschoben. Man weiß aber
nicht, ob das, was ausfällt, wirklich nachgeholt wird.
BZ: Bietet die aktuelle Lage auch die Chance, dass Künstler andere Wege gehen, zum Beispiel online?
Terwey:
Auf jeden Fall. Bei der Musik ist es ja schon so, dass Konzerte
gestreamt werden. Mit meiner Sofa-Performance bin ich auch einen neuen
Weg gegangen.
Der Künstler Roland Stratmann macht gerade ein Postkarten-Projekt mit
dem Titel „Phantom“. Jeder kann ihm anonym Postkarten zuschicken, aus
denen er ein Kunstwerk macht. Das ist eine Re-Digitalisierung. Alles,
was man sonst bei Facebook erzählt, kann man ihm
schreiben.
| Ein ausführlicher Bericht über das Projekt des aus Weseke stammenden Künstlers Roland Stratmann folgt in der morgigen Ausgabe.